Strukturlos - Dingolfing
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Aktuelle Frage
Frage:
Derzeit erreichen die Beratungsstelle vermehrt Anfragen wie diese: Die Coronazeit scheint unseren Sohn (13 Jahre) mittlerweile gänzlich aus der Bahn geworfen zu haben. Er hat sowohl schulisch als auch freizeitmäßig auf nichts mehr Bock. Die Hausaufgaben wurden zum Schuljahresende hin zunehmend schlampig und unvollständig bearbeitet – „kontrolliert eh keiner…", „kann mich eh nicht mehr verschlechtern…" bekamen wir dann zu hören. Auch zur Teilnahme am Sportverein oder in der Musikschule können wir ihn nicht mehr motivieren. Wir haben Sorge, dass er auch im neuen Schuljahr in keine geregelte Tagesstruktur mehr zurückfindet. Was können wir tun?
Das Team der Beratungsstelle antwortet:
Ihre Frage lässt vermuten, dass Sie sich große Sorgen um die Zukunft Ihres Sohnes machen, richtig? Sie scheinen die Zeichen – schlampige Hausaufgaben, wenig Bock – so zu deuten, dass Strukturen verloren gegangen sind und das Chaos gesiegt hat. Höchstwahrscheinlich aber nicht ein für alle Mal! Vermutlich sind Sie vielmehr zu beglückwünschen – und zwar dafür, dass Sie als Eltern all die Jahre für prima Rahmenbedingungen gesorgt haben, die Ihrem Kind Sicherheit und Orientierung gaben und erst jetzt stellen Sie eine drastische Veränderung fest! Falls das auf Sie zutrifft, stehen viele strukturierte Jahre einigen Monaten gegenüber, die nicht nur Ihnen sondern so gut wie allen jede Menge abverlangt haben. Vieles muss improvisiert werden, was wir jetzt gerade daran sehen, wie die verschiedenen Bundesländer um ein Konzept für das neue Schuljahr ringen. Manches in der Zukunft ist ungewiss und ja, auch wir Erwachsenen kommen damit mal mehr mal weniger gut zurecht. Das betrifft auch die Lehrer*innen: so manche haben sich beherzt neuen digitalen Unterrichtsformen zugewandt, sich bemüht, über diesen Weg die Schüler auch von zu Hause „abzuholen", während wieder andere ein Minimalprogramm für ausreichend gehalten haben. Gerade fehlende Rückmeldung durch die Lehrer*innen kann tatsächlich dazu beigetragen haben, dass einige Schüler*innen zumindest teilweise entmutigt wurden. Wie wichtig persönlicher Kontakt und Austausch beim Lernen sind, sollte nicht unterschätzt werden.
Angesichts all der Ungewissheit, in der wir nun mal aktuell leben müssen, ist ein zeitweises Null-Bock-Gefühl sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen doch auch nachvollziehbar, oder? Wenn Sie dafür ein bisschen Verständnis zeigen, könnten Sie mit Ihrem Sohn leichter wieder ins Gespräch kommen, idealerweise wenn Sie beide entspannt sind, etwa während einer gemeinsamen Aktivität. Sollte die unsichere Zukunft auch ihn plagen, könnte es guttun, sich vor Augen zu führen, was dennoch weitgehend gewiss bleibt. Zum Beispiel, dass die diesjährigen Ferien in Bayern bis zum siebten September dauern und dass man sie genießen darf; dass es derzeit wieder möglich ist, etwas mit Freunden zu unternehmen; dass die Schulen gerade dabei sind, sich den Bedingungen so gut wie möglich anzupassen und ähnliches. Freunde treffen zu dürfen ist für Jugendliche besonders wichtig und jetzt in den Ferien sollten Sie Ihrem Sohn dafür viel Freiraum gewähren. Wenn das vergangene Schuljahr vielleicht auch für ihn selber unbefriedigend verlaufen sein sollte, kann er sich über Kontakte im Freundeskreis fehlende Anerkennung holen, was wiederum sein Selbstwertgefühl und seine Eigenmotivation stärken dürfte.
Corona und die Folgen sind eine Erklärungsmöglichkeit für Veränderungen im Verhalten des Sohnes, daneben könnte aber noch anderes mithineinspielen, etwa die Pubertät. Sich von den Eltern abzugrenzen, mehr für sich sein zu wollen, gehört dazu. Auch Interessen können sich in dieser Phase deutlich wandeln. Ob ihn darüber hinaus etwas bedrückt, er sich sorgt, traurig fühlt oder Probleme im Freundeskreis hat finden Sie am ehesten heraus, wenn Sie ausgehend von Ihren Beobachtungen mit ihm ins Gespräch kommen ohne zu werten. Zum Beispiel so: Wir haben den Eindruck, dein Instrument, dein Sport, … machen Dir nicht mehr so viel Freude wie früher? Liegen wir da richtig? Wie siehst Du das? Falls er Sie bestätigt: Wie denkst Du, ist es dazu gekommen? Was hat Deine frühere Freude daran so getrübt? Für uns sieht es so aus, als ob Dir ziemlich oft ganz schön langweilig wäre, stimmt das? Wenn ja, wie versuchst Du mit der Langeweile fertig zu werden? Was würdest Du Dir wünschen? Was interessiert Dich derzeit am meisten? Gibt es etwas Neues, das Du gerne ausprobieren würdest? Vielleicht tut es ihm gut zu hören, dass auch Ihnen die momentane Situation zu schaffen macht. Sie könnten ihm vorschlagen, als Familie zusammen einen Wochenplan zu erstellen, in dem jetzt zur Ferienzeit vor allem schöne Aktivitäten Vorrang haben. Darunter können dann auch Tagesaktivitäten fallen, auf die Sie sich gemeinsam freuen und die automatisch einer Struktur bedürfen, zum Beispiel weil man aufgrund einer weiten Anfahrt früh aufstehen muss. Zum Ende der Ferien hin könnten Sie es mit dem Thema Schule und Arbeit vergleichbar angehen. Vielleicht stellen Sie fest, dass es Ihnen in mancher Hinsicht ähnlich wie Ihrem Sohn geht: Wie bringt man einen möglichen Wechsel aus Home-office / - schooling und Präsenzzeiten unter einen Hut? Wie motiviert man sich, wenn sich die äußeren Umstände ständig verändern? Strukturen sollen ja helfen, Orientierung und Sicherheit zu vermitteln. Daraus wiederum ergibt sich Freiraum für jedes Familienmitglied. Sie könnten sich zusammensetzen und gemeinsam für die Zeit nach den Ferien und nach dem Urlaub überlegen: Was hat jeder einzelne für Ideen, wie man für diese Orientierung und Sicherheit sorgen könnte, wer braucht was? Zum Beispiel einen Familienkalender, einen Tagesplan, Aussicht auf Highlights des Tages, persönliche Auszeiten, Zeiten mit Freunden außer Haus, Lern- bzw. Arbeitszeiten ohne Störung und Klarheit darüber wer wann welche Pflichten für die Familie übernimmt? Die Ergebnisse sollten Sie schriftlich festhalten. Wichtig ist, dass Ihr Sohn keinen Plan „übergestülpt" bekommt, sondern dass er mitreden und mitgestalten kann, beispielsweise welche Aufgaben er übernehmen möchte, welche Auszeiten ihm wichtig sind. Nach ein bis zwei Wochen sollte man das Ganze Revue passieren lassen: was hat gut funktioniert, was weniger, woran lag`s, was wollen wir verändern? Damit erhöhen sich die Erfolgschancen so einer Planung, denn Mitbestimmung und das gute Gefühl auch in seinen Bedürfnissen ernst genommen zu werden, motivieren ungemein!