Zwei Papas - Dingolfing
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Aktuelle Frage
Frage:
Meine Tochter (4 Jahre) weiß nicht, dass mein Mann nicht ihr leiblicher Vater ist. Von diesem habe ich mich bereits in der Schwangerschaft getrennt. Für die Kleine ist mein Mann von Anfang an selbstverständlich ihr Papa gewesen, er kümmert sich liebevoll um sie und sagt, für ihn sei sie wie ein eigenes Kind. Zum leiblichen Vater besteht überhaupt kein Kontakt, er lebt im Ausland, hat von Anfang an kein Interesse gezeigt und meldet sich nie. Ich möchte das auch gar nicht mehr. Wann ist der richtige Zeitpunkt, ihr die Wahrheit zu sagen?
Das Team der Beratungsstelle antwortet:
Vielen Dank für diese, wie wir finden, problembewusste und konkrete Frage! Bemerkenswert problembewusst erscheint uns Ihre Frage deshalb, weil Sie sie mutmaßlich aus einer perfekten, harmonischen Familiensituation heraus stellen, in der man auch denken könnte: Wozu sich überhaupt solche Gedanken machen, es läuft doch gut? Konkret, weil Sie direkt nach einem Zeitpunkt fragen. Sie sind sich also offenbar schon sicher, dass die Wahrheit gesagt werden muss – nur wann? Um es kurz zu machen, unsere ersten Reaktionen im Team waren: „Jetzt!", „So früh wie möglich!", „Von Anfang an!", „Je früher, desto besser!".
Beim Weiterdiskutieren wurde uns klar: diese spontanen Antworten entspringen zum Teil unseren vielfältigen Erfahrungen mit Familien, in denen so ein „Geheimnis" erst Jahre später ans Licht kam. Zu einem weiteren Teil entstammen sie dem mittlerweile weitgehenden fachlichen Konsens, dass wir Menschen ein grundlegendes Bedürfnis danach haben zu wissen, von wem wir abstammen, ganz unabhängig davon, ob wir in der Obhut dieser Personen aufgewachsen sind oder nicht. Wem sehen wir ähnlich, welche Eigenschaften teilen wir mit unseren leiblichen Eltern oder Geschwistern? Darüber Klarheit und Gewissheit zu haben macht einen wesentlichen Teil unserer Identität aus, was uns meist nicht bewusst ist, wenn wir ohnehin in unserer Ursprungsfamilie aufgewachsen sind.
Mittlerweile hat sich auf diesem Gebiet auch ein gesellschaftlicher Wandel vollzogen. Dieser zeigt sich zum Beispiel darin, dass die aktuelle Rechtsprechung tendenziell dem Auskunftsbedürfnis der Kinder über ihre wahren Väter gegenüber einem möglichen Wunsch nach Geheimhaltung von Seiten der Mütter den Vorrang einräumt.
Je später ein Kind über seine Herkunft aufgeklärt wird, desto größer die Enttäuschung, der Vertrauensverlust, der Bruch mit der bisher als sicher geglaubten Identität. Zudem steigt die Gefahr einer zufälligen Entdeckung. Zum Beispiel über Unterlagen: durch eine Hochzeit oder Geburt in der Familie könnten Kinder darauf aufmerksam werden, dass es ein Familienstammbuch gibt, in dem solche Ereignisse ganz offiziell dokumentiert sind. Verwandte, Freunde oder Bekannte der Familie könnten das Geheimnis verraten – entweder in dem guten Glauben, dass das Kind Bescheid weiß oder aus Versehen. Bitte stellen Sie sich vor, in welcher Lage sich ein Kind befindet, das erkennen muss: alle anderen wussten davon und haben bislang dicht gehalten, nur ich selber wusste von nichts. Es wird sich vermutlich völlig verloren fühlen, betrogen, wie ausgestoßen. Beziehungsstörungen bis hin zu behandlungsbedürftigen psychischen Störungen können die Folge sein: wem kann ich noch vertrauen? Bin ich nicht schon immer anders behandelt worden als meine Halbgeschwister? Bin ich überhaupt noch erwünscht oder war ich es jemals? Das Kind, der Jugendliche oder auch der Erwachsene muss nach so einer erst späten Offenbarung seine Identität neu finden, einen Teil seiner Lebensgeschichte neu schreiben. Daher: je jünger das Kind ist, desto einfacher lässt sich seine individuelle Geschichte in die Familiengeschichte einbetten. Das kann im Grunde genommen schon im Babyalter beginnen, etwa indem man Fotos vom anderen leiblichen Elternteil aufbewahrt, zeigt und diesen auch adäquat als Vater benennt. Es weiß dann von Anfang an, dass es zwei Papas hat, die unterschiedliche Rollen innehaben, etwa den „Lebenspapa": von ihm und von der Mama hat es das Leben, und den „Herzpapa", der es umsorgt und tagtäglich da ist. Diese Geschichte kann immer wieder altersangepasst neu erzählt werden, damit wird sie zu einer Selbstverständlichkeit. Niemand im Bekannten- und Verwandtenkreis bekommt außerdem die Bürde auferlegt, zum Geheimnisträger zu werden, denn allein das kann die Beziehung der betroffenen Mitwisser zu Ihrem Kind erheblich belasten.
Uns ist aber auch bewusst: häufig stecken handfeste und nachvollziehbare Gründe dahinter, wenn Eltern zögern, einen „wahren" Elternteil preiszugeben. Das kann zum Beispiel sein, wenn es Gewalt in dieser früheren Beziehung gab oder die Schwangerschaft vom anderen Elternteil nicht gewünscht war, schmerzliche Erfahrungen also, mit denen man sich selber ungern erneut konfrontiert. Dann erfordert dieser dennoch unerlässliche Schritt umso mehr Mut und Kraft. Professionelle Begleitung kann hier helfen, für sich und sein Kind die richtigen Worte zu finden. Gleiches gilt für Spätentschlossene, die angesichts der befürchteten Reaktionen ihres Kindes zögern. Wir müssen ehrlicherweise darauf hinweisen, dass bei älteren Kindern tatsächlich mit heftigen Reaktionen zu rechnen ist. Allerdings besteht bis zur frühen Pubertät noch Zeit diese aufzufangen und die Beziehung zu Eltern- wie Stiefelternteil wieder zu stabilisieren. Ist ein Jugendlicher hingegen mit etwa 16 Jahren schon auf dem Absprung von zu Hause, drohen ernsthafte mitunter dauerhafte Beziehungsabbrüche. Bei einer 4jährigen stehen die Chancen für einen behutsamen Übergang zur neuen Familienrealität gut. Wichtig ist, dass sowohl Sie als auch Ihr Mann das Thema möglichst unaufgeregt einführen. Sie braucht von Ihnen beiden die Gewissheit, dass sich an Ihrer Liebe und Zuneigung nichts ändert. Zwar kann es passieren, dass Ihr Kind die Information zunächst leugnet und abwehrend reagiert. Lassen Sie sich davon bitte nicht beirren, sondern geben Sie stattdessen sich und Ihrem Kind Zeit, um diesen Teil seiner Geschichte behutsam Schritt für Schritt zu verankern.